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Betäubungsmittelstrafrecht

Polizei darf Verkehrskontrolle vortäuschen

Der BGH hat entschieden, dass Ermittler auch vorgetäuschte Verkehrskontrollen vornehmen dürfen, um einen verdächtigen Drogenhändler zu überführen.

Das Landgericht Limburg hatte den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Kokain) in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nach den landgerichtlichen Feststellungen war der Angeklagte Beschuldigter in einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main, das diese gegen eine marokkanische Tätergruppierung wegen Verdachts von Betäubungsmittelstraftaten führte. Aufgrund von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen hatte die Kriminalpolizei Frankfurt am Main konkrete Hinweise auf einen Betäubungsmitteltransport des Angeklagten erhalten, den der zu diesem Zeitpunkt vorübergehend in Marokko befindliche „Chef“ der Gruppe organisiert hatte. Tatsächlich hatte der Angeklagte von einer unbekannten Person in den Niederlanden Kokain übernommen und beabsichtigte, dieses zwecks gewinnbringenden Weiterverkaufs nach Deutschland einzuführen. Als die Kriminalpolizei Frankfurt am Main über einen am Fahrzeug des Angeklagten angebrachten Peilsender feststellte, dass sich der Angeklagte nach Grenzübertritt wieder auf der Autobahn in Deutschland befand, entschloss sie sich, das Fahrzeug von der Verkehrspolizei Wiesbaden im Rahmen einer Verkehrskontrolle anhalten und durchsuchen zu lassen, um die mitgeführten Betäubungsmittel sicherzustellen. Dabei wurden im Inneren des Fahrzeugs mehrere Päckchen Kokain (insgesamt knapp 8 kg) aufgefunden. Ein richterlicher Beschluss für die Durchsuchung des Fahrzeugs, der die Offenbarung der im Hintergrund geführten verdeckten Ermittlungen zwangsläufig zur Folge gehabt hätte, wurde nicht eingeholt, um den vorübergehend in Marokko weilenden Hintermann nicht zu warnen. Der Ermittlungsrichter in Limburg erließ gegen den Beschuldigten Haftbefehl in Unkenntnis der im Hintergrund laufenden Ermittlungen in Frankfurt am Main. Erst nach Festnahme des wieder nach Deutschland eingereisten Hintermanns, aber noch vor Anklageerhebung gegen den Beschuldigten, wurden die Erkenntnisse aus dem in Frankfurt am Main geführten Ermittlungsverfahren offengelegt. Mit der Revision macht der Angeklagte insbesondere einen Verstoß gegen den Richtervorbehalt aus §§ 102, 105 Abs. 1 StPO und ein daraus resultierendes Beweisverwertungsverbot geltend gemacht hat

Der BGH hat die Revision des Angeklagten als unbegründet verworfen.

Nach Auffassung des BGH konnte die Durchsuchung des Fahrzeugs des Angeklagten auf § 37 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 HSOG i.V.m. § 36 Abs. 1 Nr. 1 HSOG bzw. § 40 Nr. 1 und 4 HSOG (Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung) gestützt werden, die eine vorherige richterliche Anordnung (im Gegensatz zur Durchsuchung von Wohnungen) nicht voraussetzen. Der Anwendung präventiv-polizeilicher Ermächtigungsgrundlagen stehe nicht entgegen, dass zum Zeitpunkt der Fahrzeugdurchsuchung bereits ein Anfangsverdacht einer Straftat gegen den Angeklagten vorgelegen habe, der auch ein Vorgehen nach §§ 102, 105 StPO ermöglicht hätte. Es bestehe weder ein allgemeiner Vorrang der Strafprozessordnung gegenüber dem Gefahrenabwehrrecht noch umgekehrt. Bei Gemengelagen, in denen sowohl repressives als auch präventives polizeiliches Handeln in Betracht komme, blieben strafprozessuale und gefahrenabwehrrechtliche Ermächtigungsgrundlagen grundsätzlich nebeneinander anwendbar.

Die im Rahmen der Fahrzeugdurchsuchung sichergestellten Betäubungsmittel seien gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO als Beweismittel im Strafprozess gegen den Angeklagten verwertbar gewesen. Dieser Vorschrift liege der Gedanke des hypothetischen Ersatzeingriffs zugrunde. Danach setze die Verwendung polizeirechtlich gewonnener Erkenntnisse im Strafverfahren voraus, dass diese – wie hier – rechtmäßig erhoben worden seien und zur Aufklärung einer Straftat dienten, aufgrund derer eine solche Maßnahme nach der Strafprozessordnung hätte angeordnet werden dürfen. Es sei nicht erforderlich, dass die formellen Anordnungsvoraussetzungen nach der Strafprozessordnung, wie etwa das Vorliegen einer richterlichen Durchsuchungsanordnung, gewahrt worden seien.

Gehe die Polizei nach Gefahrenabwehrrecht vor und bestehe gleichzeitig der Anfangsverdacht einer Straftat gegen den Beschuldigten, sei zur Gewährleistung eines rechtsstaatlich fairen Verfahrens vor dem Hintergrund der Leitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft als „Herrin des Ermittlungsverfahrens“ allerdings sicherzustellen, dass diese zeitnah, wahrheitsgemäß und vollständig über die Hintergründe der polizeilichen Maßnahmen informiert werde. Nur so sei gewährleistet, dass die Staatsanwaltschaft auf einer vollständigen Tatsachengrundlage über ihr weiteres strafprozessuales Vorgehen (etwa Beantragung eines Haftbefehls) und über eine mögliche Beschränkung von Akteneinsicht entscheiden könne. Im Ermittlungsverfahren obliege es allein der Staatsanwaltschaft zu entscheiden, ob und ggf. welche Erkenntnisse gegen den Beschuldigten wegen einer Gefährdung des Untersuchungszwecks zunächst zurückgehalten werden. Spätestens mit Anklageerhebung müsse der für den Anklagevorwurf maßgebliche prozessuale Sachverhalt vollständig offen gelegt werden; dies war hier geschehen.

Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 54/2017

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