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Stellungnahme des DEB zum Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren

Der Deutsche Richterbund (DRB) hat eine Stellungnahme zur Evaluation des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren veröffentlicht.

Der DRB hat im Rahmen der Evaluation des Gesetzes über den Rechtsschutz gegen überlange Gerichtsverfahren und strafrechtliche Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011 (BGBl. I, 2302; vgl. BT-Drs. 17/7217, S. 3 f. unter II.) Stellung genommen und erste Erfahrungen zusammengetragen. Für eine abschließende Bewertung, ob sich das Gesetz in der Praxis bewährt hat, ist es allerdings noch zu früh.

Der teilweise befürchtete Ansturm auf die Gerichte ist zunächst einmal ausgeblieben. Die Mehrzahl der Verfahren bezieht sich auf eine Entschädigung für immaterielle Nachteile. Bei einigen Regelungen wird eine unklare Dogmatik kritisiert.

Bewertung im Einzelnen

Der DRB bedankt sich für die Gelegenheit zur Äußerung im Rahmen der vom Deutschen Bundestag geforderten (BT-Drs. 17/7217, S. 3 f.) und derzeit laufenden Evaluierung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren und nimmt hierzu wie folgt Stellung:

1. Zu dem seit nunmehr gut zwei Jahren geltenden Gesetz liegt inzwischen erste Rechtsprechung vor. Für eine abschließende Beurteilung, ob sich die gesetzlichen Regelungen in der Praxis bewährt haben, ist es allerdings noch zu früh. Ob die in zunehmendem Maße in den Gerichtsverfahren erhobenen Verzögerungsrügen später in Entschädigungsklagen und ggf. in welchem Umfang einmünden werden, kann derzeit noch nicht abgesehen werden. Die Entschädigungsverfahren werden häufig sehr emotional und nicht selten aggressiv geführt. Wie zu erwarten war, übt die Regelung offenbar vor allem eine Anziehungskraft auf Anspruchsteller aus, die bereits in der Vergangenheit die Gerichte übermäßig stark in Anspruch genommen haben. Häufig sind auch Verfahren, in denen die Anspruchsteller durch ihr eigenes Prozessverhalten nicht unerheblich zu der behaupteten Verfahrensverzögerung beigetragen haben.

Insgesamt betrachtet gehen die Parteien in den Hauptsacheverfahren derzeit aber eher zurückhaltend und vernünftig mit der Verzögerungsrüge und der Möglichkeit der späteren Erhebung einer Entschädigungsklage um. Im Zusammenhang mit der Verzögerungsrüge besteht in der Praxis allerdings das Problem, dass unklar ist, ob ein Entschädigungsanspruch ausgeschlossen ist, wenn das Verfahren zwar unangemessen lange gedauert hat, das Gericht aber innerhalb der Sechsmonatsfrist nach der Verzögerungsrüge entschieden hat (vgl. hierzu auch unten Nr. 5. a). Probleme bereitet auch die materielle Voraussetzung der Rechtzeitigkeit der Verzögerungsrüge bei denjenigen Gerichtsverfahren, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes vom 24.11.2011 bereits anhängig waren, zumal der Begriff der Unverzüglichkeit teilweise anders ausgelegt wird, als nach § 121 BGB (vgl. z.B. BFH, Zwischenurt. v. 07.11.2013 – X K 13/12).

2. Der von einigen befürchtete Ansturm ist zunächst einmal ausgeblieben, zumal in den Jahren 2011 und 2012 verstärkt mit Entschädigungsklagen in Bezug auf Altfälle nach der Übergangsregelung zu rechnen war. Insgesamt dürfte das Bewusstsein aller Beteiligten für die Bedeutung einer möglichst zügigen Verfahrensführung geschärft worden sein und schon dadurch ein gewisser Beschleunigungseffekt – vor allem bei bereits sehr lange anhängigen Altfällen – eingetreten sein. Unabhängig davon kann den gesetzlichen Regelungen aber kein unmittelbarer Beschleunigungseffekt beigemessen werden. Hier wird weiter daran zu arbeiten sein, die Ursachen für Verzögerungen gerichtlicher und staatsanwaltschaftlicher Verfahren zu beseitigen, insbesondere bei der Personalausstattung der Gerichte, aber auch etwa im Verfahrensrecht.

3. Ansprüche auf Entschädigung für materielle Nachteile spielen bislang keine große Rolle. Soweit vereinzelt Beträge geltend gemacht wurden, handelt es sich häufig um pauschale Behauptungen, ohne dass eine Substantiierung erfolgt wäre. Die große Masse der Verfahren betrifft die Entschädigung für immaterielle Nachteile, wobei die Forderungen häufig unter 5.000 Euro liegen. Über die Verfahrensdauer hinaus eingetretene Nachteile werden meist nur pauschal vorgetragen.

Der Umfang des Entschädigungsanspruchs scheint in der Praxis bislang keine Probleme zu bereiten, da in den allermeisten Fällen nur immaterielle Nachteile geltend gemacht werden. In den übrigen Fällen waren die Entschädigungssummen eher gering. Auch hinsichtlich des Kausalitätsnachweises sind bislang keine Schwierigkeiten bekannt geworden. Allerdings könnte die Rechtsfrage, welche Folgeschäden noch als kausal durch die Verfahrensverzögerung veranlasst anzusehen sind, noch an Bedeutung gewinnen. Für eine Änderung der gesetzlichen Regelungen über den Umfang des Entschädigungsanspruchs für materielle Nachteile sowie die Anforderungen an den Nachweis der Kausalität bei materiellen Schäden besteht derzeit aus unserer Sicht allerdings keine Veranlassung.

4. Das Gesetz dient dem Ausgleich von Nachteilen, die Prozessparteien durch eine unangemessene Dauer ihrer Gerichtsverfahren oder strafrechtlicher Ermittlungsverfahren erlitten haben. Die dogmatische Einordnung dieses im Gesetz „Entschädigung“ genannten Ausgleichs ist unklar. In der Gesetzesbegründung wird zwar klargestellt, dass der Entschädigungsanspruch kein Verschulden der handelnden Richter bzw. Staatsanwälte voraussetzt; unklar ist bislang aber geblieben, ob eine als unangemessen erkannte Verfahrensdauer als rechtswidrig – oder gar als „rechtswidrige Maßnahme“ (so z.B. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 460 ff.) – anzusehen ist, oder ob derjenige, der dadurch einen Nachteil erlitten hat, vielmehr einen Ausgleich nach dem Aufopferungsgedanken – unabhängig von der Frage der Rechtswidrigkeit – erhält (so Scholz, SGb 2012, 19, 23). Die durchgehende Qualifizierung einer unangemessenen Verfahrensdauer als rechtswidrig ist nach unserer Ansicht nicht sachgerecht, da eine solche Sichtweise die übrigen mit Verfassungsrang ausgestatteten Grundsätze zu stark vernachlässigt. Zu berücksichtigen ist insbesondere der verfassungsrechtliche Grundsatz richterlicher Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG): Da die zügige Erledigung eines Rechtsstreits kein Selbstzweck ist und das Rechtsstaatsprinzip die grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes durch das dazu berufene Gericht verlangt, muss dem Gericht in jedem Fall eine angemessene Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen. Es benötigt einen Gestaltungsspielraum, der es ihm ermöglicht, dem Umfang und der Schwierigkeit der einzelnen Rechtssachen ausgewogen Rechnung zu tragen und darüber zu entscheiden, wann es welches Verfahren mit welchem Aufwand sinnvollerweise fördern kann und welche Verfahrenshandlungen dazu erforderlich sind (BGH, Urt. v. 14.11.2013 – III ZR 376/12 – NJW 2014, 220).

Unabhängig davon verleitet eine Einstufung einer unangemessen langen Verfahrensdauer als rechtswidrig offenbar auch zu dem Schluss, dass dann auch das Verhalten der mit dem Verfahren betrauten Richter rechtswidrig gewesen sein muss. Davon gehen offenbar auch einige Landesjustizverwaltungen aus, wenn sie routinemäßig zumindest prüfen, ob die betroffenen Richter in Regress genommen werden können oder müssen. Eine solche routinemäßige Prüfung von Regressansprüchen wird dem sensiblen Verhältnis zwischen Beschleunigungsgebot und gründlicher und sachgerechter Verfahrensführung unter Beachtung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs und mit dem Ziel einer möglichst richtigen gerichtlichen Entscheidung aber nicht gerecht. Vor allem auf jüngere Richter kann dadurch ein nicht sachgerechter und unangemessener Druck entstehen.

Wir würden es daher begrüßen, wenn im Gesetz klargestellt würde, dass die Unangemessenheit der Verfahrensdauer nicht (jedenfalls nicht in jedem Fall) bedeutet, dass die Verfahrensdauer als rechtswidrig zu qualifizieren ist. 5. Außerdem sind folgende inhaltliche Regelungen in der Praxis auf Kritik gestoßen:

a) Aus den gesetzlichen Regelungen ergibt sich nicht, ob eine Entschädigungsklage auch dann erhoben werden kann, wenn das Gericht innerhalb der Frist von sechs Monaten nach Anbringung der Verzögerungsrüge abschließend entschieden hat.
b) Weiter wird der Kriterienkatalog in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG als problematisch angesehen, weil wichtige Kriterien keine Erwähnung finden, wie z.B. die Verfahrensführung des Gerichts, der den Gerichten zukommende Gestaltungsspielraum und die gegenläufigen – ebenfalls mit Verfassungs- und Menschenrechtsrang ausgestatteten – Rechtsgüter, insbesondere die Ansprüche auf effektiven Rechtsschutz und rechtliches Gehör – einschließlich des Ziels einer möglichst richtigen und qualitativ hochwertigen Entscheidung – sowie die Unabhängigkeit der Richter.
c) § 198 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 GVG (Wiedergutmachung auf andere Weise) kann nicht entnommen werden, ob eine Klage auf Feststellung der Unangemessenheit der Verfahrensdauer möglich sein soll. Unklar ist auch, ob eine solche Klage – falls man sie als statthaft ansieht – zulässig sein soll, wenn die beklagte Körperschaft die Unangemessenheit der Verfahrensdauer bereits außergerichtlich, oder nach Klageerhebung sofort anerkannt hat. Der BGH sieht eine solche Klage nicht als zulässig an, sondern den Ausschluss der Entschädigung bei der Möglichkeit der Wiedergutmachung auf andere Weise als reines Tatbestandsmerkmal (Urteile des 3. Zivilsenats vom 05.12.2013 und 23.01.2014). § 198 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 4 Satz 1 GVG stellt danach wohl nur ein „negatives Tatbestandsmerkmal“ dar, während § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG die Rechtsfolgenseite betrifft und dem Gericht Ermessen einräumt (auch ein Recht des Betroffenen auf fehlerfreie Ermessensausübung?). Die gesetzliche Regelung sollte daher in Bezug auf die Feststellung der überlangen Verfahrensdauer und ihr Verhältnis zum Entschädigungsanspruch überarbeitet werden.
d) Die Möglichkeit, die Entschädigungsklage bereits während des Ausgangsverfahrens zu erheben, birgt ein hohes Missbrauchspotential („Drohkulisse“); es besteht hier auch die Gefahr, dass durch eine parallele Führung von Entschädigungsklagen die Dauer des Ausgangsverfahrens noch weiter verzögert wird.
e) Da eine Verzögerung grundrechts- und menschenrechtswidrig sein muss, also einen gewissen Schweregrad erreichen muss, ist es schwer nachvollziehbar, für unterjährige Verzögerungsfälle Entschädigungen von wenigen hundert Euro zuzusprechen. Der gesetzlichen Regelung wird daher ein erheblicher Einladungseffekt beigemessen, auch völlig unbedeutende Verzögerungen zum Gegenstand einer Entschädigungsklage zu machen.
f) Schließlich bestehen in den öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten Unklarheiten in Bezug auf die Abhängigkeit der Prozessbearbeitung von der Einzahlung des Kostenvorschusses, da die entsprechenden Prozessordnungen keine Unterscheidung zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit treffen und daher die Zustellung der Klageschrift an den Klagegegner dort nicht von der Einzahlung des Vorschusses abhängig gemacht werden kann. Anders also nach § 253 ZPO tritt die Rechtshängigkeit einer Klage nach § 94 Abs. 1 SGG, § 66 FGO und § 90 Abs. 1 VwGO nicht erst durch die Zustellung der Klageschrift, sondern bereits mit der Einreichung der Klage bei Gericht ein. Die Wirkung der Regelung in §12a GKG i.V.m. § 12 Abs. 1 GKG, nach der die Klage erst nach Einzahlung des Kostenvorschusses zuzustellen ist, ist daher nach den genannten Prozessordnungen unklar. In der Sozialgerichtsbarkeit wird teilweise die Auffassung vertreten, dass eine Förderung des Verfahrens im Wege einer Betreibensaufforderung nach § 102 Abs. 2 SGG möglich und sachdienlich ist; dagegen spricht allerdings, dass einem Kläger, der nicht zahlt, nicht ohne weiteres unterstellt werden kann, dass sein Rechtsschutzinteresse in der Sache entfallen ist. Ein anderer Teil der Gerichte ignoriert § 12a GKG und gewährt dem Prozessgegner – zumindest – durch formlose Übersendung rechtliches Gehör, um eine spätere Sachentscheidung zu ermöglichen.

Quelle: juris GmbH

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