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Allgemeines Strafrecht

Jugendstrafrecht – wann, warum für wen?

Auch gegen Jugendliche und Heranwachsende finden Strafverfahren statt. Allerdings gibt es hier bedeutende Unterschiede zu einem Strafverfahren gegen einen Erwachsenen.

A) Anwendungsbereich des Jugendstrafrechts

Das Jugendstrafrecht betrifft grundsätzlich nur Jugendliche (14-17 Jahre) und Heranwachsende (18-20 Jahre). Kinder (also Personen unter 14 Jahren) sind gemäß § 19 Strafgesetzbuch (StGB) schuldunfähig und demnach strafunmündig.

Die Sondervorschriften im Strafverfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende finden sich in einem eigenen Gesetz, dem Jugendgerichtsgesetz (JGG). Dieses Gesetz, das es erst seit 1923 gibt, regelt neben dem Anwendungsbereich unter anderem auch Maßnahmen, die gegen einen straffällig gewordenen Jugendlichen oder Heranwachsenden verhängt werden können.

B) Verfehlung eines Jugendlichen

Jugendliche sind bedingt strafmündig. Ein Jugendlicher ist strafrechtlich nur dann verantwortlich, wenn er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
Der Jugendliche muß also in der Lage sein, das Unrecht seiner Tat einzusehen (>Einsichtsfähigkeit) und nach dieser Einsicht zu handeln (>Steuerungsfähigkeit). Er ist strafrechtlich dann verantwortlich, wenn er diese Fähigkeiten hatte oder wenn er sie im konkreten Fall nicht hatte, er diese aber auf Grund seiner Reife hätte haben müssen.

C) Verfehlung eines Heranwachsenden

Heranwachsende sind absolut strafmündig. Hier gelten andere Kriterien. Aus § 105 JGG ergibt sich dabei folgendes: Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften (…) entsprechend an, wenn

1. die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand,oder

2.  es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

Auf Heranwachsende wird also Jugendstrafrecht angewendet, entweder auf Grund ihres Entwicklungsstandes (§ 105 I Nr. 1 JGG) oder, weil es sich bei ihrer Tat um eine Jugendverfehlung handelt (§ 105 I Nr. 2 JGG).

Zeichen einer unreifen, noch in der Entwicklung stehenden Persönlichkeit können u.a. sein: Leichtsinn, Nachahmungstrieb, Geltungsbedürfnis, planloses, impulsives situationsbedingtes Handeln, Unbekümmertheit und dergleichen.

Für den Begriff der Jugendverfehlung gibt es keine Definition. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) sind Jugendverfehlungen Taten, die schon nach ihrem äußeren Erscheinungsbild die Merkmale jugendlicher Unreife aufweisen. Jedoch können auch lediglich die Beweggründe der Tat und ihre Veranlassung eine Jugendverfehlung darstellen. Es kommt immer darauf an, ob die konkret begangene Tat auf jugendlichen Leichtsinn, Unüberlegtheit oder auch soziale Unreife zurückzuführen ist.

D) Die Jugendgerichtshilfe

Die Jugendgerichtshilfe übt eine wichtige Aufgabe im Rahmen des Strafverfahrens gegen Jugendliche und Heranwachsende aus.

Die Vertreter der Jugendgerichtshilfe bringen die erzieherischen, sozialen und fürsorgerischen Gesichtspunkte im Strafverfahren vor den Jugendgerichten zur Geltung. Sie unterstützen zu diesem Zweck die beteiligten Behörden durch Erforschung der Persönlichkeit, der Entwicklung und der Umwelt des Beschuldigten und äußern sich zu den Maßnahmen, die zu ergreifen sind.

Die Jugendgerichtshilfe hat eine starke Verfahrensposition inne, denn sie hat unter anderem

– ein Mitwirkungsrecht im gesamten Verfahren
– Recht auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung
– Recht auf Äußerung zu den zu ergreifenden Maßnahmen
– Recht auf Anhörung in der Hauptverhandlung und vor Erteilung von Weisungen

Zu begrüßen wären hier noch weitergehende Rechte für die Jugendgerichtshilfe, wie z.B. ein eigenes Recht auf Akteneinsicht, denn die Jugendgerichtshilfe hat eine wichtige und nicht zu unterschätzende Bedeutung im Strafverfahren und sollte auch den gleichen Kenntnisstand über das Verfahren haben, wie die anderen Verfahrensbeteiligten.

E) Ziel des Jugendstrafrechts

Ziel des Jugendstrafrechts ist es, erneuten Straftaten entgegenzuwirken, also Rückfallkriminalität von Jugendlichen und Heranwachsenden zu vermeiden. Grundsätzlich steht im Jugendstrafrecht aber der Erziehungsgedanke im Vordergrund.

Dies ist in § 2 JGG auch klar normiert, der eine solche ausdrückliche Zielbestimmung hat. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Rechtsfolgen und unter Beachtung des elterlichen Erziehungsrechts auch das Verfahren vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten.

F) Verfehlung Jugendlicher und ihre Folgen

Über die Verfehlung Jugendlicher entscheiden die Jugendgerichte. Hier gibt es weitaus mehr Möglichkeiten auf das strafrechtliche Verhalten von Jugendlichen zu reagieren, als im Erwachsenenstrafrecht. Auch dies ist dem Erziehungsgedanken zu verdanken.

I. Erziehungsmaßregeln

Es gibt zum einen Erziehungsmaßregeln, die gegen den Jugendlichen verhängt werden können. Diese Erziehungsmaßregeln verfolgen den ausschließlichen Zweck, die durch die Tat erkennbar gewordenen Erziehungsmängel zu beseitigen, um einer erneuten Straffälligkeit des Täters entgegenzuwirken. Bei ihrer Anordnung und Auswahl dürfen daher nur erzieherische Gesichtspunkte, nicht aber Vergeltung, Sühne und Schutz der Allgemeinheit berücksichtigt werden.

II. Zuchtmittel

Der Richter ahndet die Straftat mit Zuchtmitteln, wenn Jugendstrafe nicht geboten ist, dem Jugendlichen aber eindringlich zum Bewußtsein gebracht werden muß, daß er für das von ihm begangene Unrecht einzustehen hat.

Zuchtmittel sind dabei die folgenden:

1.  die Verwarnung,
2.  die Erteilung von Auflagen,
3.  der Jugendarrest.

Die Verwarnung kommt als das mildeste Zuchtmittel in der Regel bei leichteren Verfehlungen in Betracht.

Im Rahmen der Erteilung von Auflagen kann der Richter dem Jugendlichen auferlegen,

1.  nach Kräften den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen,
2.  sich persönlich bei dem Verletzten zu entschuldigen,
3.  Arbeitsleistungen zu erbringen oder
4.  einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung zu zahlen

Die hier wohl bekannteste Auflage ist die der Arbeitsleistung. Hierbei verrichtet der Jugendliche oder Heranwachsende Arbeitsstunden in einer hierfür anerkannten Stelle.

Was es mit dem Arrest auf sich hat ist § 16 JGG zu entnehmen:

§ 16 JGG – Jugendarrest

(1) Der Jugendarrest ist Freizeitarrest, Kurzarrest oder Dauerarrest.
(2) Der Freizeitarrest wird für die wöchentliche Freizeit des Jugendlichen verhängt und auf eine oder zwei Freizeiten bemessen.
(3) Der Kurzarrest wird statt des Freizeitarrestes verhängt, wenn der zusammenhängende Vollzug aus Gründen der Erziehung zweckmäßig erscheint und weder die Ausbildung noch die Arbeit des Jugendlichen beeinträchtigt werden. Dabei stehen zwei Tage Kurzarrest einer Freizeit gleich.
(4) Der Dauerarrest beträgt mindestens eine Woche und höchstens vier Wochen. Er wird nach vollen Tagen oder Wochen bemessen.

III. Jugendstrafe

Schlußendlich kann das Gericht auch die härteste Sanktion, die Jugendstrafe verhängen. Dies ist Freiheitsentzug in einer für den Vollzug von Jugendlichen oder Heranwachsenden vorgesehenen Einrichtung.

Das Mindestmaß der Jugendstrafe beträgt sechs Monate, das Höchstmaß fünf Jahre. Handelt es sich bei der Tat um ein Verbrechen, für das nach dem allgemeinen Strafrecht eine Höchststrafe von mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe angedroht ist, so ist das Höchstmaß zehn Jahre. Die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts gelten hier nicht. Auch hier spielt der Erziehungsgedanke eine prägende Rolle, denn die Jugendstrafe ist so zu bemessen, daß die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist, § 18 Abs. 2 JGG.

G) Die Rolle des Verteidigers im Jugendstrafverfahren

Der Verteidiger in Jugendstrafsachen benötigt besonders viel Fingerspitzengefühl. Man könnte sogar sagen, daß er in der Lage sein muß, einen Spagat zu vollbringen:

Auf der einen Seite ist er der Verteidiger seines jungen Klienten und daher verpflichtet, ihn unter Ausschöpfung aller zulässigen Mittel, optimal zu verteidigen. Auf der anderen Seite darf auch auf Seiten des Verteidigers der Erziehungsgedanke nicht aus den Augen geraten und ist auch im Hinblick auf die bisherige und weitere Entwicklung des Jugendlichen entsprechend zu berücksichtigen.