Das Oberlandesgericht Hamm hat mit Beschluss vom 21. August 2025 (Az. III-4 ORs 107/25) die Entscheidung des Amtsgerichts Lippstadt im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen. Der Beschluss betrifft zentrale Anforderungen an die Annahme schädlicher Neigungen nach § 17 Abs. 2 JGG sowie an die Begründung der Jugendstrafe nach § 18 Abs. 2 JGG.
1. Ausgangsverfahren
Das Amtsgericht Lippstadt hatte einen zur Tatzeit 16-jährigen Angeklagten wegen gemeinschaftlichen Diebstahls im besonders schweren Fall (§ 243 StGB) zu einem Jahr Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt. Der Jugendliche hatte gemeinsam mit einem von ihm angeworbenen Mittäter mittels Funkstreckenwellenverlängerer einen Audi Q7 entwendet. Der Mittäter verursachte später bei der Flucht einen Unfall.
Das Amtsgericht bejahte das Vorliegen schädlicher Neigungen und begründete die Jugendstrafe damit, dass der Angeklagte erhebliche kriminelle Energie gezeigt, einen Mittäter angeworben und keine berufliche bzw. persönliche Stabilität aufgewiesen habe. Dagegen legte der Verteidiger des Angeklagten Sprungrevision ein.
2. Entscheidung des OLG Hamm
Das OLG Hamm hob den Rechtsfolgenausspruch auf. Die Begründung des Amtsgerichts genüge weder den Anforderungen an die Annahme schädlicher Neigungen (§ 17 Abs. 2 JGG) noch den Maßstäben des § 18 Abs. 2 JGG zur Strafhöhe.
a) Schädliche Neigungen (§ 17 Abs. 2 JGG)
Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschl. v. 26.01.2016 – 3 StR 473/15; v. 08.01.2015 – 3 StR 581/14) liegen schädliche Neigungen nur dann vor, wenn erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel bereits vor der Tat vorhanden waren und zum Zeitpunkt der Urteilsfindung fortbestehen.
Das Amtsgericht habe jedoch keine konkreten Persönlichkeitsmängel festgestellt, die auf eine vorbestehende Fehlentwicklung schließen lassen. Der bloße Umstand, dass der Angeklagte an einem professionell geplanten Diebstahl beteiligt war, reiche nicht aus. Ebenso wenig könne aus der Tatsache, dass der Jugendliche noch bei seinen Eltern lebt, kein Einkommen hat und sich in Ausbildung befindet, auf Erziehungsdefizite geschlossen werden. Diese Lebenssituation sei für einen 16- bis 17-Jährigen völlig typisch.
Zudem habe das Amtsgericht nicht berücksichtigt, dass seit der Tat fast elf Monate vergangen und der Angeklagte bereits zwei Monate in Untersuchungshaft gewesen sei – beides Umstände, die eine mögliche Entwicklung oder Besserung hätten erkennen lassen können. Damit fehle es an einer tragfähigen Grundlage für die Annahme schädlicher Neigungen.
b) Erziehungsgedanke und Strafzumessung (§ 18 Abs. 2 JGG)
Auch die Bemessung der Jugendstrafe genüge nicht den gesetzlichen Anforderungen. Nach § 18 Abs. 2 JGG muss die Höhe der Strafe in erster Linie erzieherisch begründet werden. Das Urteil müsse erkennen lassen, dass das Gericht die erzieherische Wirkung der Strafe gegen das Tatunrecht abgewogen hat.
Das Amtsgericht habe lediglich formelhaft erklärt, die Jugendstrafe von einem Jahr sei „zur erzieherischen Einwirkung“ erforderlich. Diese bloße Formel reiche nach der ständigen Rechtsprechung des BGH nicht aus. Außerdem sei unklar geblieben, worin genau der „erhebliche Schaden“ bestanden habe – ob im Wert der Beute oder im Unfall des Mittäters – und ob dieser dem Angeklagten überhaupt zurechenbar sei.
3. Bedeutung der Entscheidung
Der Beschluss betont erneut, dass Jugendstrafe nur dann verhängt werden darf, wenn tatsächliche, bereits vor der Tat bestehende Erziehungsdefizite erkennbar sind. Die bloße Tatbegehung genügt nicht. Zudem muss die Strafzumessung den Erziehungsgedanken als zentrales Leitprinzip konkret berücksichtigen.
Damit stärkt das OLG Hamm die verfassungsrechtlich verankerte Erziehungsvorrangfunktion des Jugendstrafrechts und mahnt eine sorgfältige, nachvollziehbare Begründung der Jugendstrafe an.
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