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Eröffnungsentscheidung über Anklage im NOx-Verfahren

Das LG Braunschweig hat die Anklage der Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen des Vorwurfs des Betrugs und anderer Straftaten gegen fünf – teilweise ehemalige – Mitarbeiter der Volkswagen AG, darunter den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden mit Änderungen zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet.

Im Rahmen der Eröffnungsentscheidung hatte das Landgericht die Anklagevorwürfe in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu überprüfen. Zusammenfassend ist sie zu folgenden Ergebnissen gekommen:

Das Landgericht hat hinsichtlich des ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. W. einen hinreichenden Tatverdacht – d.h. eine überwiegende Verurteilungswahrscheinlichkeit – wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs bejaht. Hinsichtlich der übrigen Angeklagten sieht das LG Braunschweig einen hinreichenden Tatverdacht wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in Tateinheit mit Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall und mit strafbarer Werbung bzw. wegen Beihilfe zu diesen Delikten.

Dem hinreichenden Tatverdacht des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs liegt der Vorwurf zugrunde, dass Käufer bestimmter Fahrzeuge aus dem Volkswagen-Konzern über deren Beschaffenheit, insbesondere die Verwendung einer sog. Abschalteinrichtung in der Motorsteuerungssoftware getäuscht worden seien, durch die eine Einhaltung der maßgeblichen Stickoxidemissionen lediglich auf dem Teststand gewährleistet gewesen sei. Die Käufer hätten hierdurch jeweils einen Vermögensschaden erlitten.

Anders als die Staatsanwaltschaft, die gegenüber den Angeklagten lediglich den Vorwurf eines Vergehens des Betrugs im besonders schweren Fall (§ 263 Abs. 1, Abs. 3 StGB) erhoben hat, sieht das Landgericht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine bandenmäßige Begehung der Tat durch die Angeklagten und hat ihrer Eröffnungsentscheidung daher jeweils die Verwirklichung des Verbrechens des banden- und gewerbsmäßigen Betrugs (§ 263 Abs. 5 StGB) zugrunde gelegt. Der Vorwurf des Betrugs betrifft insgesamt etwa neun Mio. Fahrzeuge, die in Europa und den Vereinigten Staaten von Amerika verkauft worden sein sollen. Es steht ein Vermögensschaden der Käufer in Höhe von insgesamt mehreren 100 Mio. Euro im Raum. Drei der Angeklagten wird eine Beteiligung an der Tat allerdings nicht für den gesamten Tatzeitraum, der sich von 2006 bis 2015 erstrecken soll, zur Last gelegt, sodass sich der Tatverdacht für diese Angeklagten auf entsprechend geringere Fahrzeugzahlen und Schadenssummen bezieht.

Der Vorwurf der Steuerhinterziehung betrifft etwa 6.800 Fahrzeuge, die aufgrund der unzutreffenden Annahme, dass sie die Schadstoffklasse „Euro 6“ erfüllten, in Deutschland in den Jahren 2011 bis 2013 zu Unrecht eine Kraftfahrzeugsteuerbefreiung von jeweils bis zu 150 Euro erhalten hätten. Es steht insoweit ein Steuerschaden von insgesamt ca. 820.000 Euro im Raum. Weil dieser Steuerschaden ein großes Ausmaß darstellen könnte, hat das Landgericht – auch insoweit weitergehend als die Staatsanwaltschaft – ihrer Eröffnungsentscheidung den hinreichenden Tatverdacht eines besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1, Abs. 3 AO) zugrunde gelegt.

Der Vorwurf der strafbaren Werbung gemäß § 16 Abs. 1 UWG bezieht sich auf Werbemaßnahmen, durch die besondere, tatsächlich nicht vorhandene Vorzüge von Fahrzeugen im Bereich der Emissionen angepriesen worden sein sollen. Anders als die Anklage sieht das LG Braunschweig aus rechtlichen Gründen einen hinreichenden Tatverdacht lediglich in Bezug auf Werbemaßnahmen, die den europäischen Markt betreffen, und nicht in Bezug auf Werbemaßnahmen, die den US-amerikanischen Markt betreffen. Aus diesem Grund hat das Landgericht hinsichtlich des Angeklagten Prof. Dr. W., dem mit der Anklageschrift insbesondere ein strafbares Verhalten in Bezug auf Fahrzeuge auf dem US-amerikanischen Markt zur Last gelegt worden ist, keinen hinreichenden Tatverdacht wegen strafbarer Werbung angenommen.

Einen hinreichenden Tatverdacht wegen mittelbarer Falschbeurkundung (§ 271 Abs. 1, Abs. 3 StGB) bzw. Beihilfe hierzu sieht das LG Braunschweig nicht. Nach Auffassung des Landgerichts stellen die in den zu entscheidenden Fällen inhaltlich möglicherweise unrichtigen Angaben zur Nummer der EG-Typgenehmigung in der Zulassungsbescheinigung eines Kraftfahrzeugs keine öffentlichen Urkunden im Sinne dieser Strafvorschrift dar. Eine erhöhte Beweiskraft der entsprechenden Angaben, die für die Annahme öffentlicher Urkunden erforderlich wäre, scheide aus, weil die Zulassungsbehörden diesen Angaben regelmäßig ungeprüft Angaben des Herstellers in der sog. Konformitätsbescheinigung zugrunde legten, für die gerade keine besondere Gewähr der Richtigkeit spreche.

Ferner geht das Landgericht aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen von keinem hinreichenden Tatverdacht wegen Untreue (§ 266 Abs. 1, Abs. 2 StGB) zum Nachteil der Volkswagen AG aus.

Das LG Braunschweig hat den Verfahrensbeteiligten im Eröffnungsbeschluss ferner eine Vielzahl von Hinweisen erteilt, die überwiegend Sachverhalte betreffen, welche in dem nunmehr abgeschlossenen Zwischenverfahren bereits thematisiert worden waren, und die weitere in Betracht kommende von der Anklageschrift abweichende Würdigungen beinhalten. Unter anderem hat das LG Braunschweig dargelegt, dass die von der Staatsanwaltschaft erstrebte Einziehung des Wertes der von den Angeklagten erlangten Bonuszahlungen (vgl. §§ 73 Abs. 1, 73c Satz 1 StGB) voraussichtlich nicht anzuordnen sein wird, weil durch die in Betracht kommenden Taten nicht die Angeklagten, sondern die Fahrzeughersteller unmittelbar etwas erlangt haben.

Im Zwischenverfahren hat das Landgericht zu verschiedenen Fragen ergänzende Beweiserhebungen veranlasst. Die entsprechenden Ermittlungen sind teilweise noch nicht abgeschlossen.

Das LG Braunschweig wird nunmehr mit den Verfahrensbeteiligten Gespräche über den Ablauf und die Organisation der Hauptverhandlung führen. Anschließend werden die Hauptverhandlungstermine anberaumt und zu gegebener Zeit im Rahmen einer Pressemitteilung bekannt gegeben.

Pressemitteilung des LG Braunschweig v. 09.09.2020

 

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