Erwägungen zur Strafzumessung dürfen nicht „moralisierend“ sein. Das hat der BGH in einem heute veröffentlichten Beschluss bekräftigt. Sein 2. Strafsenat hob deshalb die Verurteilung eines Drogenabhängigen auf.
Das LG Frankfurt a. M. hatte einen Drogenabhängigen nach zwei Beschaffungstaten wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls und wegen versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie mit Körperverletzung zu zwei mal fünf Jahren verurteilt und daraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren gebildet. Außerdem hatte es Taterträge eingezogen. Dabei bezeichnete sie ihn als „hartnäckigen Rechtsbrecher“, „der sich nur schwer beeindrucken lässt“. Der Mann hatte seit 25 Jahren Rauschmittel konsumiert und in dieser Zeit mehrere Therapien erfolglos absolviert.
Die Entscheidung erregte nun das Missfallen des BGH (Beschluss vom 23.11.2023 – 2 StR 403/23). „Diese moralisierende Strafzumessungserwägung lässt besorgen, dass sich das Tatgericht bei der Bemessung der Strafe für eine Beschaffungstat von sachfernen Gründen hat leiten lassen“, heißt es in der Entscheidung. Der Senat könne angesichts der hohen Einzelstrafen nicht ausschließen, dass die Strafkammer anderenfalls zu milderen Einzelstrafen gelangt wäre. Das entziehe dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage. Ein anderer Spruchkörper am LG Frankfurt a. M. muss den Fall nun abermals verhandeln. Unberührt ließ der BGH Schuldspruch und Einziehungsentscheidungen.
Schon vor fünf Jahren hatte derselbe Karlsruher Senat das LG Gera darauf hingewiesen, „dass moralisierende Strafzumessungserwägungen im Urteil zu unterbleiben haben, da sie die Annahme nahe legen können, das Tatgericht habe sich bei der Bemessung der Strafe von sachfernen Gründen leiten lassen“. Dabei verwies er auf den StGB-Kommentar von Thomas Fischer (65. Aufl., § 46 Rn. 106 mwN). Die damalige Verurteilung wegen Körperverletzung mit Todesfolge ließ er hingegen unangetastet (BeckRS 2018, 2171).
„Nichtssagend und überflüssig“
Zwei Jahre später billigte er zwar gleichfalls eine Verurteilung unter anderem wegen versuchter räuberischer Erpressung durch das LG Erfurt. Doch nahm er Anstoß insbesondere an den Formulierungen „unter zivilisierten Menschen“ und „befindet sich auf dem Weg in die Sicherungsverwahrung, wenn er so weiter macht“. Diese verdeutlichten nicht, welchen anerkannten Strafzumessungsgesichtspunkten zur Beurteilung der Tat und des Täters sie zuzuordnen sind. Sie seien nichtssagend und überflüssig, und sie könnten die Annahme nahelegen, das Tatgericht habe sich bei der Bemessung der Strafe von sachfernen Gründen leiten lassen.
Angesichts der ansonsten rechtsfehlerfreien Strafschärfungserwägungen (vielfach einschlägig vorbestraft, bereits Strafvollzug verbüßt, sämtliche Taten innerhalb eines Jahres nach der letzten Haftentlassung, bei allen Taten unter laufender Führungsaufsicht, zum Teil gravierende Tatfolgen, bei den Taten zu Tage getretene besondere Rechtsfeindlichkeit) sei aber auszuschließen, dass das LG auch ohne die eingangs genannten Erwägungen auf niedrigere Einzelstrafen oder eine mildere Gesamtstrafe erkannt hätte (BeckRS 2020, 34914).
„Gefühlsmäßige Erwägungen“
Auch der 1. Strafsenat hat aus ähnlichen Gründen die Verurteilung eines Sexualstraftäters durch das LG Traunstein gekippt. Eine Jugendkammer hatte ausgeführt, dieser habe „die sexuelle Unbedarftheit und kindliche Unbekümmertheit von M. schamlos ausgenutzt“, er habe „ihre Zuneigung rücksichtslos zur Befriedigung seines Geschlechtstriebs ausgebeutet“. Für solche Äußerungen böten die bisherigen Feststellungen keine ausreichende Grundlage, rügten die obersten Strafrichter: „Es ist zu besorgen, dass mit ihnen der Unrechts- und Schuldgehalt der Taten subjektiv stark überzeichnet worden ist.“ Dies gelte insbesondere für die Behauptung, der Angeklagte habe „seine Autoritätsstellung als Stiefvater gegenüber dem vaterlosen Kind“ ausgenutzt.
Der Karlsruher Rüffel lautete: „Moralisierende Erwägungen, die nicht verdeutlichen, welchen anerkannten Strafzumessungsgesichtspunkten zur Beurteilung der Tat und des Täters sie zuzuordnen sind, sind nichtssagend und überflüssig.“ Sie begründeten gegenüber dem Angeklagten die Gefahr einer gefühlsmäßigen, auf unklaren Erwägungen beruhenden Strafzumessung. Daher sei nicht auszuschließen, dass die Tatrichter „ohne Verwendung der beanstandeten Strafzumessungserwägungen bei dem nicht vorbestraften und geständigen Angeklagten“ auf niedrigere Einzelstrafen und damit auch auf eine mildere Gesamtstrafe erkannt hätten (BeckRS 2001, 8868).
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