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Ausstellung Europäischer Haftbefehle durch Staatsanwaltschaften

Der EuGH hat entschieden, dass die französische, die schwedische und die belgische Staatsanwaltschaft den Anforderungen genügen, die für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls verlangt werden, und er hat auch den Umfang des gerichtlichen Schutzes klargestellt, der von einem solchen Haftbefehl betroffenen Personen zugute kommen muss.

In den Ausgangsverfahren waren Europäische Haftbefehle von der französischen (C-566/19 PPU und C-626/19 PPU), der schwedischen (C-625/19 PPU) und der belgischen Staatsanwaltschaft (C-627/19 PPU) erlassen worden, und zwar in den ersten drei Rechtssachen zur Strafverfolgung und im letztgenannten Fall zur Vollstreckung einer Strafe. Es stellte sich die Frage der Vollstreckung der Europäischen Haftbefehle, die u.a. von der Eigenschaft dieser jeweiligen Staatsanwaltschaften als „ausstellende Justizbehörde“ abhing.

Der EuGH hat im Eilverfahren seine jüngste Rechtsprechung (vgl. auch EuGH, Urt. v. 27.05.2019- C-508/18 und C-82/19 PPU; EuGH, Urt. v. 27.05.2019 – C-509/18; EuGH, Urt. v. 09.10.2019 – C-489/19 PPU) zum Rahmenbeschluss 2002/584 über den Europäischen Haftbefehl (ABl. 2009, L 81, 24) durch Ausführungen zum Erfordernis der Unabhängigkeit der einen Europäischen Haftbefehl „ausstellenden Justizbehörde“ und zum Erfordernis des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes, der den Personen zugute kommen muss, gegen die ein solcher Haftbefehl erlassen wird, vervollständigt und entschieden, dass die französische, die schwedische und die belgische Staatsanwaltschaft den Anforderungen genügen, die für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls verlangt werden.

Nach Auffassung des EuGH verschafft der Status der französischen Staatsanwaltschaft ihr eine ausreichende Gewähr der Unabhängigkeit für den Erlass von Europäischen Haftbefehlen verschafft. Der Begriff „ausstellende Justizbehörde“ könne die Behörden eines Mitgliedstaats einschließen, die, ohne Richter oder Gerichte zu sein, an der Strafrechtspflege mitwirken und unabhängig handeln. Diese letztgenannte Voraussetzung verlange, dass es Rechts- und Organisationsvorschriften gebe, mit denen sichergestellt werden könne, dass die betreffenden Behörden im Rahmen des Erlasses eines Europäischen Haftbefehls nicht in irgendeiner Weise Gefahr laufen, Anordnungen oder Einzelweisungen seitens der Exekutive unterworfen zu werden.

Was die Beamten der französischen Staatsanwaltschaft betreffe, genügten die vorgelegten Gesichtspunkte für den Nachweis, dass sie über die Befugnis verfügten, unabhängig – insbesondere in Bezug auf die Exekutive – die Notwendigkeit des Erlasses eines Europäischen Haftbefehls und seine Verhältnismäßigkeit zu beurteilen, und dass sie diese Befugnis in objektiver Weise unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Gesichtspunkte ausübten. Ihre Unabhängigkeit werde weder dadurch in Frage gestellt, dass sie mit der Strafverfolgung betraut seien, noch dadurch, dass der Justizminister ihnen allgemeine Weisungen auf dem Gebiet der Strafrechtspolitik erteilen könne, noch dadurch, dass sie der Leitung und Kontrolle ihrer Vorgesetzten, die selbst Mitglieder der Staatsanwaltschaft seien, unterliegen und verpflichtet seien, deren Anweisungen zu folgen.

Anschließend hat der EuGH das in seiner jüngeren Rechtsprechung aufgestellte Erfordernis präzisiert, wonach gegen die Entscheidung, einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen, im Ausstellungsmitgliedstaat ein Rechtsbehelf eingelegt werden können muss, der die Anforderungen an einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz beachtet, wenn die Entscheidung von einer Behörde getroffen wird, die an der Rechtspflege mitwirkt, aber kein Gericht ist.

Das Vorliegen eines solchen Rechtsbehelfs stelle keine Voraussetzung dafür dar, dass die Behörde als ausstellende Justizbehörde angesehen werden könne. Zudem sei es Sache der Mitgliedstaaten, darauf zu achten, dass ihre Rechtsordnungen das geforderte Rechtsschutzniveau mittels von ihnen umgesetzten Verfahrensregeln, die von System zu System unterschiedlich sein könnten, wirksam garantierten. Die Einrichtung eines gesonderten Rechtsbehelfs gegen die Entscheidung, einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen, stelle nur eine Möglichkeit dar. Daher hat der EuGH entschieden, dass die einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz innewohnenden Anforderungen, die einer Person zugute kommen müssen, gegen die von einer anderen Behörde als einem Gericht ein Europäischer Haftbefehl zur Strafverfolgung erlassen wurde, erfüllt sind, wenn die Voraussetzungen für die Ausstellung dieses Haftbefehls und insbesondere seine Verhältnismäßigkeit im Ausstellungsmitgliedstaat gerichtlich geprüft werden.

Im vorliegenden Fall erfüllten das französische und das schwedische System diese Anforderungen, da die nationalen Verfahrensregeln die Feststellung erlaubten, dass die Verhältnismäßigkeit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen, Gegenstand einer gerichtlichen Kontrolle vor oder sogar fast zeitgleich zum Erlass dieser Entscheidung, aber auch danach sein könne. Insbesondere werde eine solche Prüfung u.a vorher von dem Gericht vorgenommen, das die nationale Entscheidung erlasse, auf die in der Folge der Europäische Haftbefehl gestützt werden könne.

Für den Fall, dass der Europäische Haftbefehl von der Staatsanwaltschaft nicht zur Strafverfolgung, sondern zur Vollstreckung einer mit rechtskräftigem Urteil verhängten Freiheitsstrafe erlassen wird, hat der EuGH entschieden, dass die Anforderungen, die sich aus einem wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz ergeben, auch nicht verlangen, dass ein gesonderter Rechtsbehelf gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft vorgesehen ist. Das belgische System, das einen solchen Rechtsbehelf nicht vorsehe, genüge daher auch diesen Anforderungen. Hierzu sei hervorzuheben, dass, wenn der Europäische Haftbefehl auf die Vollstreckung einer Strafe gerichtet sei, die gerichtliche Kontrolle durch das vollstreckbare Urteil ausgeübt werde, auf das dieser Haftbefehl gestützt sei. Die Vollstreckungsbehörde könne nämlich annehmen, dass die Entscheidung, einen Europäischen Haftbefehl zu erlassen, in einem gerichtlichen Verfahren getroffen werde, in dem die gesuchte Person Garantien in Bezug auf den Schutz ihrer Grundrechte erhalten habe. Zudem ergebe sich die Verhältnismäßigkeit dieses Haftbefehls auch aus der Verurteilung, da der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl vorsehe, dass diese in einer Strafe oder einer Maßregel der Sicherung, deren Maß mindestens vier Monate beträgt, bestehen müsse.

Pressemitteilung des EuGH Nr. 156/2019 v. 12.12.2019

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