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Strafrecht ist kein Allheilmittel: DAV fordert mehr Empirie und beim Prozessrecht ein Moratorium

Neue und schärfere Straftatbestände, Vorverlagerung von Strafbarkeit: Anlässlich der laufenden Koalitionsverhandlungen fordert der Deutsche Anwaltverein (DAV) eine Abkehr von der symbolischen Kriminalitätspolitik und ein Moratorium bei der StPO. Strafrecht muss Ultima Ratio bleiben. Der DAV erinnert zudem an die überfällige audiovisuelle Dokumentation der Hauptverhandlung.

In der letzten Legislaturperiode erfolgten Änderungen der Strafprozessordnung (StPO) in hohem Tempo, ohne dass jeweils die Wirkung der vorigen evaluiert wurde. Die Rechte von Beschuldigten wurden immer weiter beschnitten. Der Trend der vielen Änderungen und Neuerungen war klar erkennbar: höhere Strafen, neue Straftatbestände oder die Ausweitung strafbarer Handlungen weit in eine Vorfeldstrafbarkeit hinein.

„Wir müssen weg von der symbolischen und moralistischen Kriminalitätspolitik“, mahnt Swen Walentowski, Leiter politische Kommunikation und Medien des DAV. Es möge vielleicht vermeintlich unpopulär sein: „Das Strafrecht ist nicht das Allheilmittel für unerwünschtes Verhalten“. Es brauche eine rationale, evidenzbasierte Kriminalpolitik, die auch die Chance habe, wirkliche Änderungen zu bewirken und nicht nur aufgeheizte Gemüter zu beruhigen. „Das scharfe Schwert des Strafrechts muss Ultima Ratio sein, das letzte Mittel des Staates – und nicht das One-fits-all für gesellschaftliche Probleme“, so Walentowski. Bei der Strafprozessordnung brauche es ein Moratorium, die Änderungen in den letzten Jahren erst wirken zu lassen und zu evaluieren.

Scharf kritisiert der DAV auch die in der letzten Legislaturperiode versuchten Angriffe auf das Berufsgeheimnis: „Alle Pläne, das Berufsgeheimnis einzuschränken, wie etwa durch mehr Möglichkeiten der Beschlagnahme bei Berufsgeheimnisträgern, muss die neue Koalition ablehnen,“ so Walentowski. So sei es etwa beim Unternehmenssanktionsrecht geplant gewesen. „Die Vertraulichkeit zwischen Anwalt und Mandant ist ein Kern des rechtsstaatlichen Prinzips.“

„Entschlackung“ des Strafrechts

„Mit den Mitteln des Strafrechts dürften notwendige gesellschaftliche Debatten nicht beiseitegeschoben werden, um gewünschtes Verhalten zu bewirken,“ erläutert Walentowski, zugleich stellvertretender Hauptgeschäftsführer. Daher müssten auch bestehende Vorschriften auf den Prüfstand, nach Maßgabe des Ultima-Ratio-Prinzips. Es gibt eine Vielzahl von Tatbeständen, die entweder einen geringen Unrechtsgehalt aufweisen oder denen der Staat auf anderem Wege begegnen sollte als mit dem Strafrecht: Von der Gotteslästerung über das Schwarzfahren und die kontrollierte Abgabe von Cannabis bis zum Werbeverbot für Abtreibungen – eine entsprechende „Entschlackung“ würde zu einer massiven Entlastung der Strafverfolgung und der Justiz führen.

Audiovisuelle Dokumentation der Hauptverhandlung

Bei allen Reformen der letzten Jahre blieb die wirklich notwendige bisher aus: Im deutschen Strafprozess findet noch immer keine audiovi-suelle Dokumen-tation der Hauptver-handlung statt. Die Beweis-aufnahme wird nach wie vor durch handschriftliche Notizen der Richterschaft dokumentiert. Diese Mitschriften unterliegen keiner Rechtsmittelkontrolle. „Die Dokumentation der Hauptverhandlung im Strafprozess ist angesichts ihrer Tragweite ein Jammer“, konstatiert Walentowski. Der Rechtsstaat brauche ein Strafver-fahren, das sich der Wahrheitsfindung und Rechts-si-cherheit verschreibt. „Die künftige Bundesregierung sollte mit der Organisation der technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen beginnen.“ Eine Dokumentation durch Bild- und Tonaufzeichnung – wenigstens aber Tonaufzeichnung mit Verschriftlichung ¬– würde etwaige Rechtsfehler beweisbar machen. Das Plus an Transparenz würde auch zu mehr Akzeptanz von richterlichen Entscheidungen führen.

Weitere Forderungen des DAV sind etwa die Erhöhung der Haftentschädigung auf 100 Euro pro Tag unschuldiger Haft oder die überfällige Reform der Tötungsdelikts-Normen.

Pressemitteilung des DAV v. 02.11.2021

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